Oli in Finnland (Suomessa)

2.11.06

Seitensprünge im Drecksmonat

Hallo zusammen,

nach langer Zeit melde ich mich also mal wieder mit einer Menge zum Berichten. Zu aller erst: Der Titel dieses Beitrages zeugt nicht etwa von negativen Erfahrungen, sondern von der finnischen Sicht auf die Dinge. "Drecksmonat" ist die wörtliche Übersetzung von "Lokakuu", was eigentlich nur Oktober heißt. Der Rest des Titels ergibt sich daraus, dass ich mich im besagten Drecksmonat nicht nur in Lappland und Tampere aufgehalten, sondern auch ein paar Abstecher zu den ehemaligen Besetzern Finnlands, nämlich Schweden und Russland, gewagt habe...

Bevor das Reisen los ging, wude die neue Heimat noch mal gründlich anlässlich des TampereDays unter die Lupe genommen (Bootsfahrt, Märkte, Museen, Handwerk):



Åland
Doch dann war ich wirklich urlaubsreif. Nach den vielen Hausaufgaben, Gelerne, Ärger mit Finanzamt uns Sparkasse, Stress beim Finden einer Unterkunft für Stockholm (außerhalb der Saison fast unmöglich, vor allem wenn zudem noch ein EM-Quali-Spiel in der Hauptstadts Schweden steigt) und ähnlich nervenaufreibenden Dingen konnte ich ein wenig Erholung und ein paar Tage nur für mich gut gebrauchen. Und was soll ich sagen? Die fand ich auf den Ålandinseln wirklich. Zwar war die Hauptsaison vorbei und die meisten Attraktionen daher geschlossen, aber Gelegenheit das Meer, die vielen kleinen Inselchen, die Natur und die schönen Häuser in der Hauptstadt Mariehamn zu genießen, hat man immer.


Vielleicht kurz zur Geschichte: Irgendwann, als sich die nordischen Länder und Russland mal wieder bekämpften, beschloss man, eine kleine Inselgruppe zwischen Finnland und dem heutigen Schweden als neutral und entmilitarisiert zu erklären. Dies brachte Åland eine Sonderstellung in der europäischen Gemeinschaft ein: Zu Finnland gehörend, aber weitestgehend autonom, besitzt es ein eigenes Parlament, eigene Steuern und die Amtssprache ist Schwedisch. Die Männer müssen nicht zur Armee und überhaupt ist man halt irgendwo anders, aber nicht mehr ganz in Finnland. Die Straßen sind rot, die Leute schon etwas eleganter gekleidet, mit Finnisch kommt man nicht weit...
So wurde ich gut auf meinen Schwedenbesuch vorbereitet. Die Zeit nutzte ich für Spaziergänge, eine kleine Radtour (auch wenn ich mich mit dem Ziel der Festung etwas übernommen hatte) und Besuche in Restaurants, beim Friseur (das erste mal in meinem Leben), im Kino oder im Freizeitbad (auch wenn ich mir da eine - an mir - ziemlich lächerlich aussehende Badehose ausleihen musste, das Liegen im warmen Außenpool mit Aussicht auf das Meer hat es wieder rausgeschlagen), sprich zur Entspannung. Falls doch mal noch etwas Zeit übrig blieb, habe ich für die anstehende Prüfung gelernt, was sich gelohnt hat, wieder Bestnote.

Stockholm
Trotz der angenehmen Erholung war ich froh, dass mich in Stockholm Steffi und ihre Freunde erwarteten. Vorher durfte ich mir die Nacht allerdings noch auf der Fähre um die Ohren schlagen, die ich auf wenig bequemen Sitzgelegenheiten verbrachte und die immer wieder von Partygängern, Frühaufstehern, erzählfreudigen Finnlandschweden etc. unterbrochen wurde. Meine Jugendherberge (neudeutsch Hostel) war ganz in Ordnung, auch wenn ich zum Duschen oder Toilettenbesuch erst mal raus auf die Straße laufen musste. Wie dem auch sei, Stockholm ist eine wahnsinnig schöne Stadt, wenn ihr mich fragt. Ich persönlich finde sie fast so schön wie Barcelona, vielleicht sogar noch angenehmer zum Leben.


Die Schweden, zumindest deren Hauptstädtler, sind etwas besser gekleidet und etwas weniger betrunken als die Finnen, auch die Sprache ist einem Deutschen doch etwas angenehmer, aber ich will nicht all zu sehr ins Schwärmen kommen, um meine Finnen hier nicht so zu verraten...
Steffi und ihre Leipziger Freunde waren auch eine super Reisebegleitung, welche mit mir die Stadt gemütlich mit Café- und Kneipenbesuchen erkundet hat.


Stockholm (fin.: Tukholma) hat weniger Sehenswürdigkeiten, Stockholm ist selbst eine. Besonders geil ist die Altstadt "gamla Stan" im mittelalterlichen Stil:


Notfalls kann man aber auch ein paar Museen besuchen, wie das der modernen Kunst:


Alles in allem war es ein sehr schönes Wochenende und ich habe sogar noch ein wenig übrig gelassen für meinen zweitem Besuch im Rahmen des "Love-Boat-Trips" (keine Angst, nicht zu viel, denn man wird wohl nach der Hinfahrt nicht all zu fit sein).
Die Rückfahrt per Fähre war lang und manchmal auch langweilig, ab und zu aufgeheitert durch Clowns, Karaoke oder Bingo. Dann hat mich Finnland aber wieder so empfangen, wie mich Schweden verabschiedet hat:




Lappland
Nach nur einem Tag Pause, der für die Prüfung, Hausaufgaben und Wäschewaschen genutzt wurde, ging es dann mit Jeremy, Silke und Sabine nach Lappland. Die Mädels wollten leider nicht bis zum Nordkapp hoch, trotzdem hatten wir viel Spaß. So haben wir beispielweise beim Überqueren des Polarkreises (Info: nördlich dieser Grenze gibt es mindestens einen komplett dunklen und einen komplett hellen Tag im Jahr)


den Weihnachtsmann besucht und ich habe mich natürlich gefreut wie ein Kleinkind. Leider ist auch Santa im Kapitalismus angekommen und verlangt 15 Euro für ein Foto, weshalb ich nur das als Ersatz anbieten kann:


Nach dem Aufsuchen des Weihnachtspostamts und diversen Souvenirläden (und dem Erwerb von finnischen Ein- und Zweicentmünzen) ging es dann weiter zum ersten Nationalpark. Die kommenden zwei Nächte haben wir in traumhaften "Welt-Hütten" verbracht, mit TV, Sauna, Küche, Grillplätzen und sogar noch traumhafteren Aussichten:


Der Tag wurde neben einem Museumsbesuch vor allem mit dem Thema "Erfolgreich sein beim Klobesuch - a modern approach" verbracht, die Nacht meistens mit einem Bierchen.
Am Freitag, dem 13. Oktober, das Thermometer hatte endlich die Null-Grad-Marke erreicht, machten wir uns dann auf, 6 km durch den Nationalpark zu laufen, mit dem nötigsten Gepäck auf dem Rücken, um dann schließlich nach zwei Stunden eine Ansammlung von Wildnis-Übernachtungs-Hütten zu erreichen, wo wir es uns dann gemütlich machten und die Nacht verbrachten, während draußen der erste Schnee fiel...


Während des Urlaubs lernte ich neben Holzhacken (was mir überaschender Weise richtig Spaß macht) auch wie man am besten ein Feuer macht und dererlei nützliche Überlebensdinge...
Am Schluss unserer lustigen Reise haben wir noch einen kurzen Halt in der hübschen Stadt Oulu gemacht, wo man noch mal den Herbst genießen konnte


und ich auch einen neuen Freund gefunden habe:


Natürlich haben wir auch Rentiere gesehen, ich war bloß nicht so erfolgreich im Fotografieren.


Sogar Elche sind uns über den Weg gelaufen, naja, besser gesagt haben wir mal für ne Sekunde bei einen von den vielen Überholaktionen von Sabine zu sehen bekommen.

Russland
Den Abschluss des Reisemonats Oktober bildete ein Trip nach St. Petersburg und Moskau. Der Begriff "abenteuerlich" beschreibt das ganze wohl am besten, schließlich reden wir über ein Land, wo keiner Englisch spricht und erst recht keiner Lust hast, sich auf Touristen mit Händen und Füßen einzulassen, das Leitungswasser als fast tötlich gilt, die Türsteher richtige Russen sind und man nicht nur daran merkt, dass die den Überwachungsstaat noch nicht ganz verarbeitet haben; selbst beim Frühstück wird man überwacht, die Grenzprozedur dauert ewig und Fotos machen - das geht ja wohl gar nicht. Überall gibt es Lenin, Taschendiebe (sagt man zumindest) und Dreck, da muss man noch nicht mal weit von den Hauptstraßen weg, eigentlich kann man gleich drauf bleiben. Mein Sicherheitsgefühl hat sich aber von St. Petersburg auf Moskau stark verbessert. Während in ersterer Stadt alles unübersichtlich und menschenüberfüllt ist, die Metro sich ewig weit unter der Erde befindet und man in der Hektik gar nicht oft genug nach seinen Habseeligkeiten schauen kann, scheint die Hauptstadt doch etwas mehr unter Kontrolle zu sein, zumindest oberflächig betrachtet. Das ist gleich ein gutes Stichwort, denn Russland ist ein Land der Gegensätze, vor allem was arm und reich angeht. Da fährt der Lada neben dem Mercedes. Und in unserem jugendlichen Leichtsinn sind wir natürlich besonders oft mit ersterem mitgefahren. Uns wurde nämlich geraten, keine offiziellen Taxis, sondern einfach irgendwelche Autos anzuhalten, um nachts ins Hotel zurückzukommen. Das, was ich noch nicht mal in Deutschland gemacht hätte, macht man dann ausgerechnet in Russland - verrückt. Naja, aber wir haben es immer überlebt und es war wirklich günstig (so mit 6 Mann in nem Kleinwagen für 400 Rubel quer durch ganz Moskau, macht 2 Euro p.P.). All das und das russische Essen werden mein Bild von Russland sicherlich mehr prägen als die vielen Sehenswürdigkeiten, die wir natürlich auch mitgenommen haben.
Da wären in St. Petersburg zum Beispiel der Jekatarinenpalast mit Bernsteinzimmer, die Heremitage, alles Zaren- und Peter-der-große-mäßige und die Kathedralen zu nennen:


In Moskau gehört natürlich definitiv der rote Platz zu den "have-to-see"s,


welcher auch gleich an das Lenin-Mausoleum, die ewige Flamme und den Kreml anschließt. Außerdem haben sich Stalin und Co bei der Metro wahnsinnig viel Mühe gegeben. Nur das mit Karl Marx, das haben wir Chemnitzer doch etwas besser hinbekommen:


Natürlich blieb auch das Nachtleben nicht aus. Wobei ich doch etwas enttäuscht über St. Petersburg war, weil im ersten Club haben alle nur mit ihrem Spiegelbild und im zweiten Club nur mit 15-jährigen Kindern getanzt (vor allem widerliche alte Deutsche). Dafür war die Halloweenparty in Moskau sehr gut. Die hatten den weltbesten Mojito dort und meine "Verkleidung" als schwuler Außerirdischer kam zum Glück nicht nur bei den Männern, sondern auch bei den Mädels gut an, die gerne mal anfassen oder ein Foto machen wollten. (so eines kann ich hoffentlich bald mal nachreichen).

Doch nicht nur in den Clubs, sondern auch im Nachtzug


wurde ordentlich gebechert, was den sich nach Ruhe sehnenden Oliver mal ausnahmsweise nicht ganz so entgegen kam.
Trotz etwas schlampiger Organisation war es doch ein ganz interessanter Ausflug in eine nicht ganz so europäische Welt.

Weiter geht's...
Mittlerweile ist der Drecksmonat vorbei und wurde vom November abgelöst, welcher hier nicht wirklich einen optimistischeren Namen trägt: Monat des Todes.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch ein mal beschwichtigend auf die Befürchtungen meiner Familie eingehen, welche schon Angst hatte, ich würde zum Alkoholiker werden. Das dazu Anlass gebende Foto in Daniels Blog zeigt mich allerdings zu Beginn der Party, ich hatte also noch gar nichts getrunken, ich seh halt immer so furchtbar aus...
Nach dem Trinken sehe ich nämlich eher so aus:


Wie dem auch sei, ich finde Bier und Wein auch weiterhin geschmacklich weniger anregend, und Schnaps habe ich auch schon in der Heimat gerne zu gesellschaftlichen Anlässen getrunken. Jene sind hier bloß etwas mehr geworden. Trotzdem tue ich euch den Gefallen und nehme mich etwas zurück, denn wie man auf dem Foto vielleicht sieht: der Alkohol schadet in erster Linie meiner Figur und meinem Geldbeutel...

Die Zeit vertreiben wir uns hier auch manchmal noch etwas harmloser, mit Kino, DVD, Spieleabenden,


gemeinsamen Kochen/Backen oder ständiger Frisurveränderung meiner Seits.
Natürlich studieren wir auch noch ein wenig nebenbei, wobei ich freudig berichten kann, dass die zweite Periode für mich etwas ruhiger und interessanter zu werden scheint als die erste.

Ach ja, und, obwohl ich weiß, dass es in Deutschland auch schon geschneit hat, will ich mich trotzdem noch in die Reihe derer einreihen, welche schon freudestrahlend nach hause berichtet haben: "Wir haben Schnee!"


Da kommen doch schon richtig vorweihnachtliche Gefühle auf. Zum Glück gibt es bei Lidl jetzt endlich Weihnachtsgebäck und damit auch Marzipan und zum Glück haben wir schon schöne Ideen für den Dezember gesammelt (Adventskalenderaustausch, Wichteln zu Nikolaus, gemeinsames Backen, Weihnachtsfeiern...). Trotz alledem habe ich mich entschlossen, es den meisten hier gleich zu tun und über Weihnachten der Heimat einen kleinen Besuch abzustatten. :-)
Ich hoffe doch sehr auf ein großes Lächeln vor den Monitoren und wenn alles gut geht, sieht man sich vielleicht mal in der Zeit zwischen dem 21. Dezember und 6. Januar.

Bis zum nächsten mal eine schöne Zeit,
euer Oliver

P.S.: Watch out for changes! Ich habe nämlich darüber nachgedacht, meinen Artikeln in Zukunft noch kleine Extras wie eine Zusammenfassung in Finnisch oder allgemeinen Eindrücken oder so hinzuzufügen, so dass ich an diesem Eintrag eventuell noch das ein oder andere ändern werde.

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3 Comments:

  • Jaaa, er lebt noch! Schön mal wieder was von Dir zu hören, alter Rumtreiber! Hoffentlich sieht man sich mal, wenn Du auf Heimaturlaub bist, auch wenn wir über Silvester in den Urlaub fahren.
    Aber einen Wunsch hätte ich noch: schick doch bitte deine Heimatgrüße in anderer Form, als in arktischer Kaltluft. Das missfällt uns hier im Süden doch sehr!

    Viele Grüße
    Steve

    By Blogger Steve, at 6.11.06  

  • Ich glaube, es passt am besten hierher, ist auch schon etwas her, dass ich es erlebt habe: In Canberra habe ich eine junge Finnin getroffen, die zufälligerweise auch in Hervanta wohnt. Eigentlich dachte ich ja, die Skandinavier können alle gut Englisch, sie aber nicht, naja.

    Außerdem wusste sie gar nicht, dass November »Todesmonat« heißt. Sie war halt etwas seltsam, wie auch ihr Name – er klang etwa so wie »Arne«.

    Jens

    By Anonymous Anonym, at 12.12.06  

  • Ja, manche Finnen sind gewöhnungsbedürftig, manche. Und die meisten Skandinavier können echt sehr gut englisch. Die wenigen Ausnahmen sprechen es dafür um so schlechter.

    Nun ja, einige Monate haben "moderne" Namen (kesäkuu - Sommermonat oder joulukuu - Weihnachtsmonat) andere (und da gehört der November dazu) haben ihren Ursprung eher in alter Sprache, die heute niemand mehr benutzt. Ist bei deutschen Namen ja ähnlich.

    Nu denn,
    viele Grüße darunter
    Oli

    By Blogger Oliver, at 12.12.06  

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